Klang und Form

Meister Unmon fragt: „Warum legst Du beim Klang der Glocke Deine Robe an?“
(aus dem Mumonkan)

Im Zen haben wir viele Formen. Es gibt Empfehlungen für die Art, wie wir das Zendo betreten, wie wir uns darin bewegen, wie wir unseren Sitzplatz begrüßen. Dies setzt sich fort bei der Rezitation, beim Verbeugen, beim Kinhin und beim Oryoki.

Unsere Körperhaltung im Zazen folgt ebenso einer über viele Jahrhunderte tradierten Form – wie wir unsere Hand halten, wie wir atmen und: was wir mit unseren Gedanken tun. Es scheint, als ob unsere Praxis aus nichts als Anweisungen bestehen würde! Für Neulinge kann das irritierend sein, auch für etwas Fortgeschrittene bedeuten unsere Formen ein andauerndes Übungsfeld.
Warum das Ganze?

Die Zen-Formen haben ein Ziel: uns zu unterstützen. Auch wenn es manchmal nicht danach aussehen mag: sie sind einzig und allein dafür da, uns bei unserer edlen Aufgabe zu helfen.

Als Menschen des 21. Jahrhunderts fragen wir, je nach Prägung, entweder sofort oder etwas später: warum? Warum soll ich mich so bewegen und nicht anders?

Die Zen-Formen haben einen Sinn. Alle.
Dieser sollte bei Bedarf erklärt werden. Er hat meistens etwas mit einem vereinfachten Umgang miteinander zu tun oder auch damit, dass es bei einer einmal festgelegten Form leichter fällt, die Überlegungen darüber ziehen zu lassen. Mit anderen Worten: die Formen helfen uns bei der Auflockerung unseres unterscheidenden Denkens.

Alle Zen-Formen haben eine Einbindung unseres Körpers als Voraussetzung, denn unsere Praxis beginnt mit unserem Körper.

Wenn auch die Formen unser diskursives Denken etwas verlangsamen können, so bringen sie gleichzeitig ein „Denken“ hervor, das einen integralen Bestandteil unserer Übung darstellt: Gewahrsein.

Ich stelle fest, etwas „falsch“ gemacht zu haben. Vielleicht habe ich mich in der Zeile vertan bei der Rezitation oder einen Gong vergessen als Doan.
Daran merke ich, dass ich gerade nicht ganz präsent gewesen bin.

Ferner gibt mir dies die Gelegenheit dazu, mit meinem „Fehler“ zu üben. Wie gehe ich damit um, dass alle gehört haben: „ich war gerade nicht hier?“
Wie fühlt sich das in meinem Körper an, welche Gedanken habe ich dazu?

Die Zen-Formen zeigen uns ferner auf eine sehr eindrückliche Art die Auswirkungen unseres Handelns. Ich läute die Rezitation zu schnell ein, der Doshi muss sich sputen, die Harmonie der Rezitation gerät ins Wanken.
Nichts passiert und doch sind die Ringe meines Handelns spürbar, hörbar, fühlbar. Alles in einem vertanen Gong im Mikrokosmos der abendlichen Sangha. Keiner sagt etwas, jede und jeder kennt dies von sich selbst und schickt leise mitfühlende Worte.

Exakt das Gleiche, wenngleich bedauerlicherweise meistens unbemerkt und mit deutliche mehr Auswirkungen, geschieht jenseits des Tores, außerhalb des Zendos.
Es ist die gleiche Praxis, nur in einem viel komplexeren Umfeld.

Daher kann ich am Klang des Glockengebers hören, wie seine oder ihre Stimmung ist. Daher hat der Klang der Glocke Auswirkungen, die über den jeweiligen Augenblick hinausreichen.

Es ist eben nicht egal, wie ich den Ton angebe. Denn nur auf ihn kommt es an.
Und nun, sag es mir: warum legst Du beim Klang der Glocke Deine Robe an?

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Winterthur 2025

Bereits zum dritten Jahr in Folge durften wir Ende Juni zu Gast sein im Zendo Inneres Lind, das seit vielen Jahren von der Zenlehrerin Kathrin Stotz geleitet wird.
Es entstand erneut ein angeregter Austausch in einem immer wieder schönen Zendo über den Dächern von Winterthur, bei sommerlichem Abendhimmel und einer regen Diskussion über die Quellen unserer Spiritualität.
Danke für all die guten Fragen!



Sommerabend

Mauersegler schwärmen
an Wipfeln und Zinnen
in der Ferne
Wolkenberge
Lindenduft
Nachbars lesen

der alte Nussbaum
grün versunken
glyzinienumrankt
die alte Heimat

unsichtbar
der Rückflug
passgenau

das Echo
unhörbar
wie
unsere Runde

Freunde
Brot und Wein
Heimat
ohne Namen
Land
oder Horizont
einmal jährlich:
Friedensstrasse!


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Viele Blätter, ein Stamm

In der vergangenen Woche durften wir uns erneut, gemeinsam mit über 30 Teilnehmenden, unter dem weitläufigen grünen Dach des ehrwürdigen Haus der Stille in Roseburg heimisch fühlen und uns von Sonnenaufgang bis Tagesabschluss mit den Drei Juwelen beschäftigen.
Danke, Roseburg!

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Wo die Frage des „wofür“ und „wohin“ verklingt

Nachdem wir uns zuletzt in unserer Sangha intensiv mit den Silas und dem Herzsutra beschäftigt haben, schien es an der Zeit, uns mit Themen der alltäglichen Anwendung unserer Praxis zu beschäftigen. Im Zenkurs, während eines Klosteraufenthaltes, im Zendo mit der eigenen Sangha, mag es uns gelingen, aufmerksam zu bleiben, still zu werden, aber wenn wir dann im Auto sitzen und vor uns ein Traktor fährt oder wir abends lange nach einem Parkplatz suchen müssen und erst der Montagmorgen...

Im Zen sagen wir: alles ist Praxis. Alles, auch mein ganz normaler, oft unaufgeregter, manchmal sogar langweiliger Tagesablauf kann ein Anlass sein, zu üben. Wie auch der stets bis spät in der Nacht lautstark Rap hörende Nachbar, die Döner essende Frau im engen Zugabteil, wo die Fenster nicht geöffnet werden können, der Chef, der zwar zustimmend nickt, die getroffene Vereinbarung jedoch sofort vergisst, sobald ich aus der Türe bin.

Wir alle haben unsere Triggerpunkte und unsere Leben weisen ein beachtliches Tempo auf. Meistens hüpft die Praxis an so einer Klippe davon und nicht immer gelingt es uns, sie rasch wieder einzufangen.

Vielleicht kann uns eine Auflistung, eine Einteilung und letztlich eine Sichtbarmachung der Aspekte unserer Übung im Alltag helfen, die wir im Zendo oder auf einem Retreat so quasi selbstverständlich verkörpern können?

Einer der ersten Aspekte bei der Ausbreitung unserer Praxis in alle Bereiche unseres Lebens ist die Ausrichtung. Wohin möchte ich? Wie möchte ich mich fühlen, in meinem Körper, im meinem Herzen? Was möchte ich, am Ende des Tages, getan haben? Wofür? Mit wem zusammen?
Im Zen sprechen wir von „Bodhicitta“, dem Versprechen mir selbst gegenüber, den Pfad des Erwachens zu betreten. Bodhicitta ist mehr als das Kultivieren von Mitgefühl und die Absicht, allen Wesen mit Freundlichkeit gegenüber zu treten.

Als Haltung. Neugierig, zugewandt. Das ist nicht immer gleichbedeutend mit dem, was wir gewöhnlich unter „freundlichen Worten“ verstehen. Es kann auch eine klare Ansage sein, die dem gegenüber, hoffentlich nur zunächst, überhaupt nicht gefallen wird. Auf meine innere Ausrichtung kommt es an: möchte ich gerade etwas „nur“ für mich haben, verteidige ich gerade mein Terrain, ohne Rücksicht auf Begleitfolgen oder habe ich die gesamte Landschaft im Blick, wenn ich spreche und handle?

Die Haltung des Bodhicitta ist unverzichtbar in der Praxis des Erfahrens von Shunyata.
Es ist ein Herz. In dieses Herz ist der Schmerz der Welt tief mit eingewoben. Dieses Herz ist unendlich. Es ist höchstindividuell und zugleich kollektiv. Es ist völlig meins und absolut unpersönlich. Dieses Herz verspricht nichts, keine großen Ereignisse oder Gefühle, kein Kensho, keine Brokatroben.

Es ist einfach nur da und wartet auf Dich. Schon immer, denn Du bist es. Für immer.

Gassho,
Juen


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Osterkurs Benediktushof

Die gesamte Welt in den zehn Richtungen ist eine leuchtende Perle.

Im frühlingshaften Benediktushof fand von Mittwoch bis Ostersonntag unser Zen-Seminar statt, das Dogens „Leuchtende Perle“ aus dem Shobogenzo als Grundlage hatte.

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Wir waren dieses Mal in einem lichtdurchfluteten Raum zum Zengarten untergebracht. Es war ein Kurs, wie man es sich nur wünschen kann: mit seit Jahrzehnten Zen-Übenden und neu zum Zen Kommenden in einer guten Balance. Interessant war der Austausch in Hinblick auf die fünf Herkunftsländer der Teilnehmenden, denn obgleich die Sprache des Zen universell ist, gibt es durchaus regionale Nuancen und Färbungen.

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Und so haben wir gemeinsam versucht, die Perle zu beleuchten und uns von ihr inspirieren zu lassen.

Das alte Kloster
Strom der Jahrhunderte
Nachts
Kirschblütenduft
Ostermorgen
Zwinkernde Perlen
Am Wegrand.

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