May 2021

Nansens Katze

Nansen beobachtete, dass sich die Mönche der östlichen und der westlichen Halle um eine Katze stritten. Nansen nahm die Katze, hielt sie hoch und sagte:
„Wenn einer von euch ein Zen-Wort (ein richtiges Wort) sagen kann, werdet ihr die Katze retten“. Niemand antwortete.
Nansan durchschnitt die Katze in zwei Teile. Am Abend kehrte Joshu ins Kloster zurück und Nansen erzählte ihm, was passiert war. Joshu nahm seine Sandalen, lege sie auf den Kopf und ging hinaus. Nansen sagte: „Wenn du hier gewesen wärst, hättest du die Katze gerettet“.
Mumonkan, Fall 14

Diese verstörende Geschichte ist sehr bekannt geworden. Sie handelt von Nansen und Joshu, zwei der wichtigsten Personen in der Zen-Geschichte. Nansen Fugan (Nanquan Pusan) 748-835 war Dharma Nachfolger von Mazu und Joshus jahrzehntelanger Lehrer.
Was hat er zerschnitten?
Was hätte die Katze gerettet?
Was hat Joshu erkannt?
Was in uns schneiden wir täglich in zwei Teile?
Warum?
Wie fühlen wir uns damit?
Was würde es brauchen, um die „Katze mit einem Streich in eins zu schneiden“, wie es Meister Dogen so treffend vorschlug?
Was befindet sich in diesem einen?
Wann werden wir es erkennen?
Wie können wir es leben?
Was braucht es, damit wir diesen Zeitpunkt etwas vorziehen?

And we did all we could do
We couldn't run from me and you
We did the best we could
No matter how hard we tried
Like babes we come whining
For some forgotten sin
Surprised to be shining
Just like diamonds in the wind
Every facet so perfect
And every cut the proper size
When we find ourselves staring in God's golden eyes
We find ourselves staring in God's golden eyes

John Hiatt, God’s Golden Eyes

Gassho,
Juen und Nanzan


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Fliegen (II)

Erinnern wir uns noch einmal an Mumonkan, Fall 46: Wie gehst Du voran von der Spitze einer 100 Fuß hohen Stange?. Vielleicht geht es gar nicht um den einen, den großen, den dramatischen Sprung? Sondern darum, tief zu hören, auf uns und auf die Welt, um mutig den nächsten kleinen Schritt zu machen?
Wie könnte dieser Sprung für uns, gerade jetzt beim Lesen dieser Zeilen, aussehen? Womit üben wir gerade? Was hindert uns, so durch den Tag zu gehen, wie wir es uns wünschen?

Wenn wir an unsere Praxis denken, meinen wir meist die stille Meditation, vielleicht auch Rituale, Rezitation, Sesshin. Dies sind wichtige Aspekte, sozusagen unsere Basis.
Dies ist aber noch nicht alles: wie übe ich?

Meisterlich hat dies der Gründer unserer Schule ausgelegt, in dem der in seinen „Anweisungen für den Koch“ über viele Seiten beschreibt, wie Reis zu waschen sei, das Wasser zu holen, die Küche zu fegen.
Oder wie es die US-amerikanische Zen-Lehrerin Cheri Huber in ihrer prägnanten Weise auf den Punkt brachte: „It’s not what - but how.“

Das Reiskorn, der Grashalm, die Teetasse, mein Auto.
Mein Garten, unser Urlaub, der Nachbar, die Bilder im Fernsehen.
Unsere Enkel, meine Mutter.
Alles mein, alles Subjekt, Ausgangspunkt für eine gemeinsame Reise wo es kein „entweder oder gibt“, sondern nur ein „und“.

Alleine mit dem Zazen kommen wir nicht zusammen. Die gehissten Segel möchten auf Wogen treffen, damit beide gemeinsam in Schwingung versetzt werden können und somit zu dem Element, als das sie gemeint sind.

Tag und Nacht, was immer euch begegnet, ist euer Leben. Daher sollt ihr euer Leben der Situation anpassen, der ihr im Augenblick begegnet. Verwendet eure Lebenskraft dazu, aus den Umständen, die auf euch zukommen, eine Einheit mit eurem Leben zu gestalten und die Dinge an ihren richtigen Platz zu setzen.
Dogen Zenji


Gassho,
Juen und Nanzan


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Fliegen: Nicht eins, nicht zwei

Fliegen: Nicht eins, nicht zwei

Den Kern des Herz-Sutras finden wir in dieser Formulierung : "Leerheit ist aller Dinge wahrer Natur". Keine Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper oder Geist. Kein Selbst und auch kein Nicht-Selbst.
Natürlich bedeutet dies nicht, dass es weder Auge gibt oder Nase, oder Selbst.
Es stellt vielmehr heraus, dass es kein unabhängiges "Auge" gibt: es kann nicht für sich alleine funktionieren. Genausowenig gibt es ein unabhängiges Selbst, das aus sich und für sich alleine bestehen könnte ohne innigste Verbundenheit mit allem und allen. Aber auch: es gibt kein Selbst als Gegensatz einem "Nicht-Selbst". Gerade zu letzterem neigen wir nicht selten: "Nicht-Ich"-Momente werden zum erstrebenswerten Aggregatzustand, das aktuelle "kleinklein" mit meinen Arbeitskollegen oder der wöchentliche Anruf bei Muttern zum lästigen Übel, das es hinter sich zu lassen gilt.

Meister Sekiso (986 - 1040) rief uns auf: "Wie willst Du von der Spitze einer hundert Fuß hohen Stange vorwärts gehen?"
Ein anderer berühmter Altmeister sagte: "Auch wenn einer sitzend auf einem hundert Fuß hohen Mast Erleuchtung erfahren hat, ist es noch nicht die vollständige Sache. Er muss von der Spitze des Mastes vorwärtsgehen und seinen Körper in den zehn Richtungen des Universums deutlich zeigen."
Mumonkan, Fall 46

Wie sieht unser Mast aus? Welche Luft umgibt ihn? Hat sie sich verändert? Was hält uns davon ab, den Schritt nach vorne zu tun? Vielleicht ist in diesem Augenblick ein großer Sprung gar nicht nötig, vielleicht braucht es einen kleinen Schritt des Lauschens, mit den Ohren Avalokiteshvaras, die dieses ehrwürdige Sutra einleitet?
Gerade jetzt ist die Welt voller Rufe. Können wir sie hören, auch wenn da zunächst viel Rauschen ist? Können wir mit Freundlichkeit antworten, auch wenn der Wind unseren Masten in Schwingung versetzt? Können wir dieses Hören zu unserer Praxis machen, mutig vorangehen in diesem Moment, antworten, uns zeigen, auch wenn es uns schwer fällt und uns unerschütterlich sichtbar macht?

Denn, in den Worten der wunderbaren Rose Ausländer: "Noch bis Du da!".

Gassho,
Juen und Nanzan


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Gate, gate

Das Herzsutra, jener altehrwürdige Text, kann vieles: eine Anregung bieten zur Kalligrafie, zur gemeinsamen Rezitation, zum Erfahren von Gemeinschaft auch jenseits der eigenen Sangha, zum individuellen Mantrastudium, zum philosophischen Diskurs und natürlich und vor allem zur Meditation.

Als eines der bekanntesten Mahayana-Sutras beinhaltet es hat es die Essenz der Zen-Lehre: „Shunyata“ – oft im Deutschen als Leere bezeichnet.
Hiermit ist kein trostloses „nichts“ gemeint, sondern dass unabänderliche Tatsachen, abgesehen von den Gesetzen der Physik, die Ausnahme in unserem Leben darstellen. „Shunyata“ bedeutet: „leer von“ festen Vorstellungen, Annahmen, starken Meinungen.

Es bedeutet, flexibel reagieren zu können auf die jeweiligen Bedürfnisse der Situation, unter Einbeziehung von möglichst vielen Aspekten und der Tatsache, dass es keine Entscheidung gibt, die nicht von anderen, belebt und unbelebt, beeinflusst wird bzw. wiederum Einfluss nimmt auf uns und andere. Somit ist diese „Leere“ ein vibrierendes, ständig changierendes Feld der Begegnungen in die 10.000 Richtungen. Es ist radikal: weder Form, noch Empfindung, noch Alter, noch Tod, weder Fühlen noch Denken, weder Weg noch Erreichen.

Ja, was denn dann?
Form, Empfindung, Alter, Tod, Fühlen, Denken, Weg, Erreichen.

Und wo ist der Unterschied: im genauen Hinsehen, Hören, Schmecken. Jedes Mal. Wie nie gehört.
Die frischen Birkenblätter am abendlichen Teich. Berückend hellgrün. Jedes Jahr wieder bewundernswert und irgendwie immer eine Überraschung, ihr Rauschen, ihr Wippen im Wind, ihre sich täglich verwandelnde Farbe und Form.

Grund, staunend innezuhalten, um zu sehen, zu schmecken, zu hören und zu riechen. Bekannt, erinnert und doch und doch. Hingerissen von nur diesem. Bis zum nächsten Lüftchen.

Im April haben wir in unserer Sangha das Herzsutra zum Thema gehabt.

Gassho,
Juen


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