December 2022

Zuflucht zur Sangha

Wir nehmen Zuflucht zur Sangha als der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft der Übenden teilt Werte und Vertrauen, sie teilt Gleiches. Dennoch sind zweifelsohne jede und jeder auf ihren individuellen spirituellen Wegen unterwegs. Es ist eine besondere Freundschaft, die ohne Erwartungen und herkömmliches Wissen über den anderen auskommt und vielleicht ist sie gerade deswegen so tragfähig. Wir nehmen Zuflucht in dem Wissen um die Vier Edlen Wahrheiten, im „vollen Besitz der fünf Eigenschaften“. Nichts ist außerhalb, alles, auch die Zuflucht, spielt sich innerhalb unserer selbst ab. Daher vertrauen wir, sind wir zuversichtlich: nicht weil wir etwas nicht verstehen, sondern gerade weil wir sehen, weil wir mit Weisheit und Mitgefühl gelernt haben, zu schauen.

Es ist die Sangha, die Buddha und Dharma zu Leben erweckt. Es ist an uns, in beschwerten Zeiten wie diesen, in den leichtfüßigen Momenten, die es darin auch gibt, den Raum zu schaffen, diese zu erfahren. Die Gesamtheit des „an uns“ verkörpert sich in einer Sangha. Wie viel gebe ich hinein? Was halte ich zurück? Was ist mir diese Versammlung meiner selbst wert?

Die Sangha ist ein perfekter Spiegel, wir werden durch sie gedreht wie Dogens Dharmablume. Wie Buddha und Dharma, ist es ferner ebenso an uns, sie zu drehen, diese unendliche Dharmablume, die zwar immer schon hier war, die auf uns stets wartet und die sich unbändig darüber freut, wenn wir uns zu ihr gesellen. Auf diesem alten Weg. Auf diesem stets neuen Weg.

Einem Pfad, den schon so viele vor uns unter ungleich größeren Mühen gegangen sind, der durch uns lebendig und wach gehalten wird und der uns durch die edle Dunkelheit der Nacht führt, damit wir ankommen in die Helle des Tages: um zu staunen und zu wirken.

In diesem Augenblick begegnen sich 2500 Jahre, die ungebrochene Tradition und Disziplin zahlloser Buddhas und Bodhisattvas vor uns und machen uns zu dem, was auch ihnen damals widerfahren ist: quicklebendige zukünftige Buddhas in genau jenem Moment des Erkennens und Begegnens.

Gassho, Juen

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Zuflucht nehmen: Dharma

Wir nehmen Zuflucht zu Buddha auch als Beispiel für Siddharta Gautama als einem Menschen, der unter anderem erkannte, dass der Großteil unserer Probleme mit uns selbst, mit unserem Kopf, zu tun haben. So gesehen: „nichts Heiliges“, der Nabel ist in der Mitte und die Nasenspitze darüber. Wir sind gemeint, wir haben es genauso in der Hand wie jener Mann vor 2500 Jahren.

Wir nehmen Zuflucht zum Dharma als unserem Weg. Hiermit sind nicht nur die historischen Sutren gemeint oder die beeindruckenden Bände an buddhistischer Primär- bis Tertiärliteratur.

„Die Berge und Flüsse der Gegenwart sind die Verwirklichung des Weges der Buddhas vergangener Zeiten“.
Dogen, Sutra der Berge und Flüsse


Die Wirklichkeit aller Wesen: ein Sutra. Ob Berge, Flüsse, Vögel, die Ukraine, Migration, Klima, ein Kiesel, eine Lampe: alles lehrt uns kontinuierlich das Dharma. Erneut: nichts Heiliges, nichts Weltliches. Keine Ausrede, etwas nicht genau betrachten zu können, weil uns der Blick versperrt bleibt. Alles kann angeschaut werden. Alles kann Anlass geben, die Wahrheit allen Seins widerzuspiegeln.

Hierbei verweilt das Dharma in der ihr eigenen Unaufgeregtheit, weswegen der Lehre häufig das Attribut der „Leidenschaftslosigkeit“ zugeschrieben wird. Sie ist in dem Sinne nicht zielorientiert, denn sie webt sich nicht nach dualen Meßwerten. Das Dharma ist sich selbst Dimension wie Relation und diese heißt Welt, verwirklicht durch uns, kontinuierlich lernend und sich stetig wandelnd. In diesem Sinne bedeutet Zufluchtnahme zum Dharma, dass wir dieses als wertvoller erachten als unsere eigenen beschränkten, relativen Sichtweisen.

Gassho, Juen

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Zuflucht

Nachdem wir den Vers der Reue im Rahmen der Jukai Zeremonie rezitiert haben, folgt die Zufluchtnahme. Dies sind zugleich die ersten drei der sechzehn Grundsätze:

Ich nehme Zuflucht zu Buddha
Ich nehme Zuflucht zum Dharma.
Ich nehme Zuflucht zur Sangha.

Für die Mönche, die dem historischen Buddha nach seinem Erwachenserlebnis begegneten, bedeutete die Zufluchtnahme zunächst: die Anerkennung von Siddhartha Gautama als Lehrer.

Abgesehen von dem Respekt gegenüber der historischen Person des Buddha, seiner Lehre und seiner Gemeinschaft: was ist hiermit für uns heute gemeint?

Wörtlich heißt es, wir nehmen „den großen Weg“ an. Dieses Annehmen, „taige“, bedeutet im Japanischen so viel wie: „mit dem Körper verstehen“. Wir bezeugen das große Erwachen Buddhas durch unseren Körper, in unserem Alltagsleben, in unser Alltagsleben.

Darin besteht unsere Zufluchtnahme. Wir nehmen wahr, bevor unser Verstand aktiv wird. Wir geben ab: uns als Zentrum der Welt, alle anderen als Zulieferer für den möglichst hübschen Ausgang unserer Geschichten.
Wir nehmen an: mit unseren Augen, Nase, Ohren, Geschmack, unserem Tastsinn.
Nichts Heiliges. Sondern etwas sehr Direktes, Unmittelbares.

Folglich sehen wir ein wenig klarer, ein wenig deutlicher: Zusammenhänge, gegenseitige Abhängigkeiten, Verbundensein. Wir erkennen den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, von Erhalten und Verschenken, von Gleichem unter Gleichen.
Ohne unser Zutun entsteht hierin ein Mitfühlen, ein Vorwärtsgehen und gleichzeitig dabei Zurückschauen.
Das ist Zufluchtnahme zu Buddha.

Gassho, Juen

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Rohatsu 2022

Nach dreijähriger Pause konnten wir am vergangenen Wochenende wieder so zusammenkommen, wie es für diese Sangha in den 20 Jahren ihres Bestehens zur vertrauten, alten Praxis geworden war: im Rahmen eines Sanghatages, der neben Zazen und Kinhin, Vortrag, Rezitation, Samu, gemeinsamer Pause auch das Oryoki mit einbezieht. So war es in dieser Hinsicht ein freudiges Zusammenkommen nach alter Tradition, lange entbehrt, dennoch vertraut und unmittelbar seine heilsame Wirkung verschenkend.

Ferner beinhaltet Rohatsu immer auch eine Erinnerung an unsere Verbundenheit mit allen Übenden, bekannt oder unbekannt, aktuell und durch alle Zeiten. Und natürlich genauso ein Gedenken an den Anlass von Rohatsu: dem Erwachen von jemanden vor zweieinhalbtausend Jahren in die gesamte Offenheit, Verletzlichkeit, Gemeinsamkeit, Tragik und Schönheit unseres untrennbar gemeinsamen Daseins.

Was wurde zur Seite gelegt, als der Buddha den Morgenstern erblickte?
Was wurde hiervon bis heute, durch alle Stürme hindurch, weitergetragen?
Wo sehe, fühle und schmecke ich all dies gerade jetzt?

Darüberhinaus kann dieser Rohatsu nicht bedacht werden ohne eine Berücksichigung der vergangenen Jahre: was können wir sagen über unser Zen in schwierigen Zeiten wie diesen?

Niemals hätten wir uns vorstellen können, dass die Folgen der Pandemie und die Trauer über die vielen Menschen, die deswegen ihr Leben gelassen haben, zurücktreten würden vor Ereignissen, die noch eine ganz andere Dimension bedeuten: Krieg, Elend, Flüchtlingsströme und Bedrohung.

Nichts ist schön an einer Krise. Weder persönlich noch global.
Eines haben diese gemeinsam: sie regen uns dazu an, unsere Prioritäten zu überdenken, Wertvorstellungen zu hinterfragen, vielleicht meine Lebenszeit insgesamt etwas anders zu bewerten. Was ist mir wichtig? Handle ich danach? Wie kann ich helfen?

Unser Zusammenkommen beinhaltete auch deswegen eine Zeremonie, in der wir allen gedacht haben, die an Covid oder im Krieg verstorben sind. Die krank wurden an Isolation und Einsamkeit. Die verstört sind durch Kontaktbeschränkungen mit ihren Liebsten.

Ihnen allen schenken wir die gute Energie, die dieser gemeinsame Tag hervorgerufen hat. Er endet eigentlich nie. Für jene, die sich einmal aufgemacht haben, ein Zendo zu besuchen. Und das sind, gerade in diesen Tagen, viel mehr, als wir manchmal denken oder spüren.

Bodhisattvas aller Länder! Lasst uns miteinander in die nächste Runde sitzen, lächeln und zusammen vorangehen.

Gassho, Juen

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