Tu was Du kannst
Die Übung der liebenden Güte (skr. metta) beginnt bei uns selbst: „Möge ich glücklich sein“.
Das mag sich zunächst ungewohnt anfühlen und in Folge auch der überbordenden Literatur an Selbstfürsorge zur Annahme verleiten, es werde in erster Linie ein gutes Stimmungsbild angestrebt. Wir leben in einer Zeit, welche das eigene (Wohl-)Befinden, die autonome Entscheidungsbefugnis des Individuums bis hin zu den letzten Dingen, die betonte Unterscheidung von anderen, als erstrebenswertes Ziel des Menschen der Moderne offeriert.
Kann ich alleine glücklich sein? Gibt es „mich“ alleine überhaupt?
Wenn ich hinaussehe in die Welt und sie bestimmen lasse, wer oder was ich bin, welche Gefühle ich „brauche“, um mich „gut, sicher und wohlig“ zu wissen, dann ist das vielleicht möglich. Es wird jedoch nicht lange dauern und dann werden sich externe Hinweise auf Gefahr meines Befindens zeigen. Dieses getrennte Ich wird nicht lange glücklich sein können, wie ein kurz leuchtendes Blatt in der Novembersonne. Das ist nicht die Praxis der liebenden Güte.
Der Buddha, lange vor unserer Zeitrechnung und somit weit vor den Erkenntnissen der modernen Psychologie, war darin sehr klar: „... auf mich selbst achtend, achte ich auf den anderen. Auf den anderen achtend, achte ich auf mich selbst.“
Im 21. Jahrhundert jedoch haben wir verlernt, unsere Empfindungen anzuerkennen und zurückzuverfolgen, sie zum Beispiel in Form von körperlichen Spannungen bei uns selbst wahrzunehmen.
Andererseits besteht auch eine gewisse Scheu davor, uns, wie in der Metta-Übung, an erster Stelle zu beachten, da wir denken, dass gehöre sich nicht, es sei selbstsüchtig.
Gleichzeitig gibt es eine ganze Bewegung, die zu einer gewissen Nabelschau neigt, in der es primär um ein wohliges Gefühl geht, das dem Impuls des „jetzt muss ich aber einmal nur an mich denken“ folgt. Es geht in der Metta-Praxis nicht darum, uns selbst jedes Bedürfnis zu stillen, jeden Wunsch zu erfüllen. Das sind meistens auch relativ kurzweilige Amplituden.
Vielmehr streben wir danach, auch zu diesem einen Wesen freundlich zu sein, dass wir am besten kennen und das im Übrigen auch das einzige Wesen ist, dass diese Freundlichkeit ohne Reibungsverluste umwandeln kann in etwas noch Besseres:
Anstatt mich auf meiner Couch auszuruhen und unterhalten zu lassen, ziehe ich meine Schuhe an und fahre hinaus durch die kühle Herbstnacht zum Donnerstagszazen. Weil es zwar momentan unbequem ist, doch mittelfristig das Freundlichste, was ich mit mir selbst vereinbaren kann.
Diese Art der Freundlichkeit, die eher der eines weisen Mentors ähnelt und keinesfalls auch nur in die Nähe der Rolle der Richterin oder des Richters gerutscht werden sollte, die ebenfalls in uns wohnt, ist von solider Nachhaltigkeit. Das Netz, dass durch sie gesponnen wird, lässt sich nicht spannen ohne das Einbeziehen der oder des anderen. Hiermit sind nicht nur andere Menschen, sondern alle fühlenden und nicht fühlenden Wesen gemeint: auch Bäume, Gräser, Steine und das Licht im Vorgarten. Sie stützen uns und wir stützen sie. Sie halten uns in der Übung, sie schenken uns Energie und Weitblick. Wir danken ihnen, wir pflegen und erhalten sie. Mein Gegenüber und ich, wir verschwinden in dieser uralten, einen, endlosen Bewegung, welche Dogen Zenji in seinem Shobogenzo „Gyoji“ nannte:
„...die Tugend einer solchen Übung erhält und bewahrt euch selbst, sie erhält und bewahrt die Welt. Das Wesentliche ist, dass im Augenblick dieser Praxis die ganze Erde und der gesamte Himmel in alle zehn Richtungen vollkommen mit der Tugend (meines Tuns) in Einklang stehen“. Band 2 Kristkreitz Verlag, S. 161
Gassho,
Juen und Nanzan