Ich bin ich oder etwas mehr oder etwa nicht?

Im Zen sprechen wir gelegentlich von ich und vom Ich oder von selbst und dem Selbst – im Sinne eines relativen und absoluten Verständnisses. Ist das Ich, das ins Nirvana verweht wird, „groß“ oder „klein“? Wie sollen wir mit unserem konditionierten Ich umgehen? Sollen wir es leugnen, wegsitzen, überwinden?
Was ist das für ein Ich, das einkaufen geht, Sitzungen beiwohnt und Telefonate entgegennimmt? Wie viele Ichs befinden sich in uns?

Im Zen machen wir uns mit allen Ichzuständen vertraut: der großen Weite genauso wie dem kleinkarierten, kleinlichen Ich.

Diese gut kennenzulernen, stellt einen wichtigen Teil unserer Praxis dar. Dabei ist es gar nicht immer sicher, dass die Begebenheiten des „kleinen Ich“ uns weniger Erkenntnismomente bescheren als die Erfahrungen der Einheit. Alles kann Anlass sein, wach zu werden, andere mit unserer Präsenz zumindest nicht zu belasten, vielleicht sogar ein wenig zu erfreuen und selbst darüber glücklicher zu werden.

Nirvana und Samsara sind eins.
Dogen Zenji

Bei allen immer zu kurz bleibenden Versuchen, diese Erfahrungen in Worte zu fassen, die stets nur eine Anlehnung, eine Annäherung, anbieten können an das, was wir als Bodhi-Geist, als „wahre Wirklichkeit“ bezeichnen: es ist einfacher, sich mit nur einer Dimension unseres Ichs anzufreunden. Die Spannungen der Gegensätze des Ichs zu halten und uns mit ihnen innigst vertraut zu machen, ist unsere Übung. Unser Wachwerden enthüllt unsere Verbundenheit, welche, falls unsere Praxis von irgendeinem Wert ist, in unsere Gemeinschaften und Familien integriert werden muss.

Wir arbeiten mit unseren Verfehlungen und Illusionen, so gut wir können, wir verwandeln sie als Anlass, unser Ich ganz genau unter die Lupe zu nehmen und schaffen es, so aus jedem „Irrtum“ eine spirituelle Lehrstunde zu machen, die uns hilft, aufmerksamer und wacher zu werden für nicht nur unsere eignen Belange, sondern die Klänge der Welt. Denn wir üben nicht nur für uns, sondern für und mit allen anderen. Das müssen wir gar nicht aktiv entscheiden, es geschieht automatisch.

Und wenn wir nicht mehr weiter wissen, wenden wir uns an jenen Mann, der nach seiner Erkenntnis, nach vielen Jahren der Suche in verschiedenen Praktiken inklusive der strengsten Askese, 50 Jahre lang auf den staubigen, beschwerlichen Straßen Indiens lehrte.
Der Buddha diente. Er diente unermüdlich. Er diente ohne es zu müssen, ohne davon viel zu haben. Dieses Dienen war die Manifestation seines Erwachens.
Er diente aus Liebe. Aus Liebe zum Sein, zu den Mitmenschen, zu allem, was ihm umgab. Deswegen wurde er unsterblich. Unsterblich unsichtbar. Enthalten in allem, für jene, die sehen möchten, bis zum heutigen Tag und weit darüber hinaus.

„Wasser hat immer Wellen. Wellen sind die Praxis des Wassers.“
Shunryu Suzuki


Gassho, Juen

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