Das Gras betreten
26.08.2023
„Viel reden verursacht jede Menge Schwierigkeiten. Wenig reden hat keine Wirkung.
Nicht zu viel und nicht zu wenig redend – wie sagst Du es dann?“
Nach einer Pause sagte Dogen: „Betrete das Gras und reiche den Wind weiter.“
(aus dem Eihei Koroku)
Wir leben in einer Zeit der vielen Worte.
Da ist zunächst einmal die äußere Geschäftigkeit zu nennen: wir haben mehr Kommunikationsmöglichkeiten als je zuvor und nutzen diese auch. Uns stehen mehr Informationen als den Generationen vor uns zur Verfügung. Ob in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf den Straßen oder im Café: es tippelt und postet, es wischt und trackt kontinuierlich. Mütter schauen auf ihr Fon, während sie ihre Kinder im Wagen schieben, ein paar Jahrzehnte später ist es der Hund – das Fon etwas größer an Tasten, das Prinzip gleich. Es gibt kaum noch jemanden, der oder die sich spontan verabreden kann – wir müssen erst unseren Terminkalender befragen. In der Arbeit haben die Anforderungen, die an uns pro Zeiteinheit gestellt werden, stetig zugenommen.
Aus der Fülle der uns im Westen (immer noch) zur Verfügung stehenden Freizeitangebote etwas auszuwählen, kann genauso anstrengend sein wie die gesellschaftliche Erwartung, möglichst gesund zu leben, möglichst lange aktiv zu sein und möglichst effizient zu arbeiten. Von unseren spirituellen Erwartungen ganz zu schweigen...
Die Zunahme an Möglichkeiten zum Austausch hat weder zu einer Verbesserung der Lebensstandards aller Menschen, noch zu mehr Frieden, noch nicht einmal zu mehr Zufriedenheit derer geführt, die im größten Wohlstand leben. Eher ist das Gegenteil eingetreten – der Einsamkeitsindex in den Industrienationen steigt ständig und ist in den unter 20-Jährigen oder den am Arbeitsleben teilnehmenden Menschen am höchsten.
Das alles konnte der verehrte Meister im 13. Jahrhundert nicht vorhersehen.
Wohl aber kannte er den inneren Dialog und dieser scheint sich in den 1100 Jahren seither nicht sehr verändert zu haben: ständig und schier ununterbrochen kommentiert und blubbert unser Kopf. Er bespricht alles um ihn herum. Wenn das getan ist, Vergangenes. Wenn das erledigt ist, Zukünftiges. Wenn dies zu langweilig wird, widmet er sich uns selbst – ein schier unendlicher Fundus an Urteilen, Bewertungen und Maßregelungen. Repeat.
„Wenig reden hat keine Wirkung“. Diese Worte vom Begründer der Schule, die das stille, ungegenständliche Sitzen zur Wand als ihr Kernelement betrachtet, sind bemerkenswert.
Perfekt in Oryoki und als Doan, kerzengerade still im Zazen, das reicht Dogen, der so viel von Formen hielt, auch nicht.
Noch dazu scheint es darauf anzukommen, wie viel von jedem: nicht zu viel reden, nicht zu viel schweigen. Das Zen ist verwirrend!
Zu wenig, nur still dasitzen und mitschwingen, kann genauso krank machen wie stete Ablenkung durch Lärm und Gerede.
Letztendlich und dessen wurde selbst jemand wie der oft so eklektisch wirkende Dogen nicht müde, zu betonen, kommt es auf uns selbst an. Welche Antwort ruft gerade in mir? Was hält mich davon ab, sie zu zeigen? Wieso mache ich einen Unterschied zwischen Schweigen und Reden? Was kann mir passieren, wenn ich etwas sage, wenn ich mich äußere? Welche Annahme über mich selbst liegt dem zugrunde, dass ich in Anwesenheit anderer lieber schweige?
Was fürchte ich an der Stille? Was könnte geschehen, wenn ich einmal abwarte und den Moment klingen lasse?
In unserer Praxis üben wir all dies. Schweigen und sprechen, sich zeigen in der Stille und auf dem Marktplatz. Indem wir diese Gräser betreten, verleihen wir sowohl der Welt des Schweigens als auch der Welt des Klanges Ausdruck. Wir tun dies, ohne die Gräser zu knicken oder wegzuschieben. Wir sehen sie jedes Zazen ein bisschen deutlicher, wir spüren den Wind, der sie in Schwingung versetzt, den Tau, der sie biegsam macht und das Sonnenlicht, das sie glitzern lässt. Mit uns, denn ohne sie wären auch wir nicht.
Gassho, Juen
Nicht zu viel und nicht zu wenig redend – wie sagst Du es dann?“
Nach einer Pause sagte Dogen: „Betrete das Gras und reiche den Wind weiter.“
(aus dem Eihei Koroku)
Wir leben in einer Zeit der vielen Worte.
Da ist zunächst einmal die äußere Geschäftigkeit zu nennen: wir haben mehr Kommunikationsmöglichkeiten als je zuvor und nutzen diese auch. Uns stehen mehr Informationen als den Generationen vor uns zur Verfügung. Ob in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf den Straßen oder im Café: es tippelt und postet, es wischt und trackt kontinuierlich. Mütter schauen auf ihr Fon, während sie ihre Kinder im Wagen schieben, ein paar Jahrzehnte später ist es der Hund – das Fon etwas größer an Tasten, das Prinzip gleich. Es gibt kaum noch jemanden, der oder die sich spontan verabreden kann – wir müssen erst unseren Terminkalender befragen. In der Arbeit haben die Anforderungen, die an uns pro Zeiteinheit gestellt werden, stetig zugenommen.
Aus der Fülle der uns im Westen (immer noch) zur Verfügung stehenden Freizeitangebote etwas auszuwählen, kann genauso anstrengend sein wie die gesellschaftliche Erwartung, möglichst gesund zu leben, möglichst lange aktiv zu sein und möglichst effizient zu arbeiten. Von unseren spirituellen Erwartungen ganz zu schweigen...
Die Zunahme an Möglichkeiten zum Austausch hat weder zu einer Verbesserung der Lebensstandards aller Menschen, noch zu mehr Frieden, noch nicht einmal zu mehr Zufriedenheit derer geführt, die im größten Wohlstand leben. Eher ist das Gegenteil eingetreten – der Einsamkeitsindex in den Industrienationen steigt ständig und ist in den unter 20-Jährigen oder den am Arbeitsleben teilnehmenden Menschen am höchsten.
Das alles konnte der verehrte Meister im 13. Jahrhundert nicht vorhersehen.
Wohl aber kannte er den inneren Dialog und dieser scheint sich in den 1100 Jahren seither nicht sehr verändert zu haben: ständig und schier ununterbrochen kommentiert und blubbert unser Kopf. Er bespricht alles um ihn herum. Wenn das getan ist, Vergangenes. Wenn das erledigt ist, Zukünftiges. Wenn dies zu langweilig wird, widmet er sich uns selbst – ein schier unendlicher Fundus an Urteilen, Bewertungen und Maßregelungen. Repeat.
„Wenig reden hat keine Wirkung“. Diese Worte vom Begründer der Schule, die das stille, ungegenständliche Sitzen zur Wand als ihr Kernelement betrachtet, sind bemerkenswert.
Perfekt in Oryoki und als Doan, kerzengerade still im Zazen, das reicht Dogen, der so viel von Formen hielt, auch nicht.
Noch dazu scheint es darauf anzukommen, wie viel von jedem: nicht zu viel reden, nicht zu viel schweigen. Das Zen ist verwirrend!
Zu wenig, nur still dasitzen und mitschwingen, kann genauso krank machen wie stete Ablenkung durch Lärm und Gerede.
Letztendlich und dessen wurde selbst jemand wie der oft so eklektisch wirkende Dogen nicht müde, zu betonen, kommt es auf uns selbst an. Welche Antwort ruft gerade in mir? Was hält mich davon ab, sie zu zeigen? Wieso mache ich einen Unterschied zwischen Schweigen und Reden? Was kann mir passieren, wenn ich etwas sage, wenn ich mich äußere? Welche Annahme über mich selbst liegt dem zugrunde, dass ich in Anwesenheit anderer lieber schweige?
Was fürchte ich an der Stille? Was könnte geschehen, wenn ich einmal abwarte und den Moment klingen lasse?
In unserer Praxis üben wir all dies. Schweigen und sprechen, sich zeigen in der Stille und auf dem Marktplatz. Indem wir diese Gräser betreten, verleihen wir sowohl der Welt des Schweigens als auch der Welt des Klanges Ausdruck. Wir tun dies, ohne die Gräser zu knicken oder wegzuschieben. Wir sehen sie jedes Zazen ein bisschen deutlicher, wir spüren den Wind, der sie in Schwingung versetzt, den Tau, der sie biegsam macht und das Sonnenlicht, das sie glitzern lässt. Mit uns, denn ohne sie wären auch wir nicht.
Gassho, Juen