Hoffnung

Ich werde der trüben Welt nicht sagen,
sie solle rein werden.
Ich wasche mich selbst
und betrachte den Bachlauf im Tal.


Es ist, in Anbetracht von 18 Monaten in einem mehr oder weniger akutem Ausnahmezustand und in Anbetracht der Aussichten auf diesen Herbst, nicht ganz einfach, über Hoffnung nachzudenken. Ist Hoffnung buddhistisch? Zielt sie doch gemeinhin auf etwas ab, das sich nicht im gegenwärtigen Moment befindet. So gesehen, kann sie ein Hindernis auf unserem Weg darstellen, ein Ausweichen. Sie kann zu mehr Leiden führen, in dem wir das Duale in uns nähren. Wir hoffen auf etwas Bestimmtes, auf etwas Besseres und erleben das jetzige als Unglück oder zumindest als die für uns schlechtere Alternative.

Gleichzeitig strotzt die Lehre des Buddhas vor Hoffnung und Zuversicht. Unerschütterlich glaubt sie daran, dass es einen Weg gibt, uns von unserem Leiden zu befreien, andere Wesen zu schützen, Unheilvolles zu lindern und eine bessere Welt für uns alle zu gestalten. In diesem Sinne ist sie streng gegenwartsorientiert und unabhängig vom jeweiligen Ergebnis. Was für einen Bodhisattva zählt, ist die gute Absicht, die innere Ausrichtung und die Erfahrung des Augenblicks als einen zutiefst hoffnungsvollen Moment der Einheit und des Potentials. Sie hat etwas mit Handlung zu tun, nicht mit „Besitz“.

Gerade in schweren Zeiten wie diesen ist es außerordentlich wichtig, dass Boddhisattvas um ihrer selbst und anderer willen hoffnungsfroh bleiben.
Wir bieten unser Herz an. Egal wie die Winde stehen. Wir sind bereit, den nächsten Schritt in das Unbekannte zu tun. Wir vertrauen darauf, dass uns unse
re Praxis dabei leiten wird. Wir glauben fest daran, dass es all unsere Anstrengung wert ist, diese Reise zu beginnen, auch wenn sie so oft gegen den Strom verläuft.

Weise Hoffnung vertraut in die Chancen des Fremden und Neuen, in unsere Unsicherheit und in unser nicht-Wissen sowie in die Zuversicht, dass uns das Dharma halten wird. Diese Art der Hoffnung weiß, dass unser Tun zählt, auch wenn wir nicht vorhersehen können, welche Wirkung unser Handeln in der Zukunft haben wird.

Ausatem -
Einatem.
Wisse, dass sie
die Unerschöpfbarkeit
dieser Welt beweisen.


Gassho,
Juen und Nanzan

Gedichte aus: „Hoher Himmel Großer Wind“: Tanahashi/Boissevain; Leben, Gedichte und Kalligraphie des Zen-Meisters Ryokan, Edition Steinrich 2012


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