Dongshan fühlt sich krank
26.05.2020
Eines Tages, als Dongshan sich krank fühlte, fragte ihn ein Mönch: „Du bist krank, Lehrer. Gibt es jemand, der nicht krank wird?“
Dongshan antwortete: „Ja, da gibt es jemanden.“
Der Mönch fragte: „Kümmert sich derjenige, der nicht krank wird, um Dich?“
Dongshan sagte: „Ich kümmere mich um ihn.“
Der Mönch: „Und wie kümmerst Du Dich um ihn?“
Dongshan: „Ich erkenne, dass er ohne Krankheit ist.“
(aus: Cleary; Book of Serenity, Fall 94, Tanahashi/Loori; Dogen’s 300 Koans, Fall 98)
Dongshan Liangjie (japanisch: Tozan Ryokai) lebte in 9. Jhdt. zur Zeit der Tang-Dynastie. Er hat den Text des „Lied des Juwelenspiegel-Samadhi“ verfasst.
Als spirituell Suchender reiste er von einem Lehrer zum nächsten. Als er eines Tages durch einen Fluss watete, erkannte er sein Spiegelbild im Wasser und erwachte. Was hat er damals in seiner Reflexion erkannt?
Im „Juwelenspiegel-Samadhi“ rezitieren wir: „Beim Anblick eines Juwelenspiegels sehen Form und Abbild einander. Du bist es nicht, doch in Wahrheit ist es Du.“
Im Zen wird häufig von Spiegelbildern und Reflexionen gesprochen. Das Bewusstsein wird oft als Spiegel interpretiert, der die Wirklichkeit reflektiert. Ja, dies stimmt, aber das ist noch zu einseitig und noch nicht die ganze Wahrheit, könnte man sagen.
Als Dongshan damals ins Wasser sah, erkannte er, dass Form und Abbild nicht unabhängig voneinander existieren können, sondern immer gemeinsam hervortreten. So ist es auch mit unserem Spiegel-Bewusstsein und den 10.000 Dingen: was wir als unser Selbst wahrnehmen kann nicht ohne das sogenannte andere da draußen existieren. Wir sind alle verbunden und bringen uns gemeinsam hervor. Welche Wahrheit in einer Zeit der Spaltung und Abgrenzung!
Ähnliches gilt für die (vermeintliche) Dualität von krank vs. gesund:
Wir alle sind immer wieder einmal krank, oft vorübergehend und linde, manchmal aber bleibend und schwer.
Nicht selten nimmt uns unser Kranksein dann vollständig ein und fordert unsere ganze Aufmerksamkeit. Unsere Übung bleibt in solchen Momenten gern auf der Strecke und wir vergessen all unsere guten, edlen Vorsätze. Unser Kopf ist vollständig mit dem Kranksein beschäftigt. Wir werden ängstlich und missmutig. Oder aber wir ignorieren die Tatsache, dass wir krank sind (so dies möglich ist) und machen so weiter, wie gewohnt mit unserem geschäftigen, kompliziert-komplexen Leben. Manchmal gelingt uns dies mit großer Anstrengung. Wir warten, dass die Krankheit vorübergehen möge und wir wieder gesund sind. Manchmal fürchten oder wissen wir aber, dass wir nicht wieder ganz gesund werden. Dann mag uns unsere Übung wie ein Traum, ein Luxus erscheinen.
Dongshan ist krank, der Überlieferung nach auf dem Sterbebett, sein Körper mag nicht mehr, wie gewohnt. Doch Dongshan ist auch nicht krank: da ist jemand, der nicht krank ist. Dongshan ist mit dieser Person in Kontakt. Sein Schüler stellt ihm eine sehr gute Frage: „Kümmert sich diese Person, die nicht krank ist, um Dich?“ Mit anderen Worten: „Bewahrt Dich Dein freier, starker, erwachter Zen-Geist vor Deiner Erkrankung?“
Daher kommt Dongshans Antwort etwas überraschend: Nein. Er kümmert sich nicht um mich. Ich kümmere mich um ihn.
Daher ist Zazen ein so guter Lehrer. Obgleich oft anstrengend und schwierig, gibt uns Zazen einen sicheren Rahmen, um die Person, die nicht krank ist, zu treffen. Dann können wir vielleicht allmählich erkennen, dass die, die krank ist und die, die nicht krank ist, schon immer zusammen waren, einander auf das intimste vertraut und tatsächlich eins sind. Dass Form und Abbild einander sehen. Immer schon, immer wieder und für immer. Dass wir, absolut betrachtet, alle krank und alle heil sind. Dazwischen webt sich unser menschliches Leben.
Gassho,
Juen & Nanzan
Dongshan antwortete: „Ja, da gibt es jemanden.“
Der Mönch fragte: „Kümmert sich derjenige, der nicht krank wird, um Dich?“
Dongshan sagte: „Ich kümmere mich um ihn.“
Der Mönch: „Und wie kümmerst Du Dich um ihn?“
Dongshan: „Ich erkenne, dass er ohne Krankheit ist.“
(aus: Cleary; Book of Serenity, Fall 94, Tanahashi/Loori; Dogen’s 300 Koans, Fall 98)
Dongshan Liangjie (japanisch: Tozan Ryokai) lebte in 9. Jhdt. zur Zeit der Tang-Dynastie. Er hat den Text des „Lied des Juwelenspiegel-Samadhi“ verfasst.
Als spirituell Suchender reiste er von einem Lehrer zum nächsten. Als er eines Tages durch einen Fluss watete, erkannte er sein Spiegelbild im Wasser und erwachte. Was hat er damals in seiner Reflexion erkannt?
Im „Juwelenspiegel-Samadhi“ rezitieren wir: „Beim Anblick eines Juwelenspiegels sehen Form und Abbild einander. Du bist es nicht, doch in Wahrheit ist es Du.“
Im Zen wird häufig von Spiegelbildern und Reflexionen gesprochen. Das Bewusstsein wird oft als Spiegel interpretiert, der die Wirklichkeit reflektiert. Ja, dies stimmt, aber das ist noch zu einseitig und noch nicht die ganze Wahrheit, könnte man sagen.
Als Dongshan damals ins Wasser sah, erkannte er, dass Form und Abbild nicht unabhängig voneinander existieren können, sondern immer gemeinsam hervortreten. So ist es auch mit unserem Spiegel-Bewusstsein und den 10.000 Dingen: was wir als unser Selbst wahrnehmen kann nicht ohne das sogenannte andere da draußen existieren. Wir sind alle verbunden und bringen uns gemeinsam hervor. Welche Wahrheit in einer Zeit der Spaltung und Abgrenzung!
Ähnliches gilt für die (vermeintliche) Dualität von krank vs. gesund:
Wir alle sind immer wieder einmal krank, oft vorübergehend und linde, manchmal aber bleibend und schwer.
Nicht selten nimmt uns unser Kranksein dann vollständig ein und fordert unsere ganze Aufmerksamkeit. Unsere Übung bleibt in solchen Momenten gern auf der Strecke und wir vergessen all unsere guten, edlen Vorsätze. Unser Kopf ist vollständig mit dem Kranksein beschäftigt. Wir werden ängstlich und missmutig. Oder aber wir ignorieren die Tatsache, dass wir krank sind (so dies möglich ist) und machen so weiter, wie gewohnt mit unserem geschäftigen, kompliziert-komplexen Leben. Manchmal gelingt uns dies mit großer Anstrengung. Wir warten, dass die Krankheit vorübergehen möge und wir wieder gesund sind. Manchmal fürchten oder wissen wir aber, dass wir nicht wieder ganz gesund werden. Dann mag uns unsere Übung wie ein Traum, ein Luxus erscheinen.
Dongshan ist krank, der Überlieferung nach auf dem Sterbebett, sein Körper mag nicht mehr, wie gewohnt. Doch Dongshan ist auch nicht krank: da ist jemand, der nicht krank ist. Dongshan ist mit dieser Person in Kontakt. Sein Schüler stellt ihm eine sehr gute Frage: „Kümmert sich diese Person, die nicht krank ist, um Dich?“ Mit anderen Worten: „Bewahrt Dich Dein freier, starker, erwachter Zen-Geist vor Deiner Erkrankung?“
Daher kommt Dongshans Antwort etwas überraschend: Nein. Er kümmert sich nicht um mich. Ich kümmere mich um ihn.
Daher ist Zazen ein so guter Lehrer. Obgleich oft anstrengend und schwierig, gibt uns Zazen einen sicheren Rahmen, um die Person, die nicht krank ist, zu treffen. Dann können wir vielleicht allmählich erkennen, dass die, die krank ist und die, die nicht krank ist, schon immer zusammen waren, einander auf das intimste vertraut und tatsächlich eins sind. Dass Form und Abbild einander sehen. Immer schon, immer wieder und für immer. Dass wir, absolut betrachtet, alle krank und alle heil sind. Dazwischen webt sich unser menschliches Leben.
Gassho,
Juen & Nanzan